piwik no script img

Böhmermann und Schertz im HKW„Man sollte mehr Gnade walten lassen“

Jan Böhmermann und Christian Schertz diskutieren im HKW über die Frage, was Satire darf. Sie beklagen, dass die Räume des Sagbaren geschrumpft sind.

Freunde und Feinde: Jan Böhmermann und Christian Schertz Foto: Lenny Rothenberg/hkw

Berlin taz | Erst verklagt er ihn, dann vertritt er ihn gegen Recep Tayyip Erdoğan, dann verklagen sie gemeinsam die Bundeskanzlerin. Jan Böhmermann und Christian Schertz haben einiges zusammen durchlebt. Am Montagabend diskutierten der Satiriker und der Medienanwalt für Persönlichkeitsrechte im ausverkauften Haus der Kulturen der Welt (HKW) im Rahmen der von Böhmermann kuratierten Veranstaltungsreihe „Die Möglichkeit der Unvernunft“ über die Frage: Was darf Satire?

Die Frage dürfte Böhmermann derzeit umtreiben. Der ZDF-Moderator geriet im Zuge der HKW-Ausstellung, die „die Korridore des Sagbaren“ weiten sollte „anstatt sie zu verengen“, in einen Shitstorm. Böhmermann ist bekannt dafür, Grenzen zu testen – und gelegentlich auch zu überschreiten. Man erinnere sich an Böhmermanns Schmähgedicht (laut Schertz: „künstlerische Gesamtperformance“) gegen den türkischen Präsidenten 2016, das kurzerhand eine Staatsaffäre auslöste.

Der Satiriker hat schon den einen oder anderen Rechtsstreit geführt, mal gewonnen, mal verloren. Er sei „kein masochistischer Typ“, aber er habe Spaß daran, unklare Rechtsfragen auszuloten, sagt er am Abend in der Schwangeren Auster. „Ich habe gelernt, das Wort Prozess zu lieben.“

Christian Schertz wiederum ist bekannt für die Kompromisslosigkeit, mit der er Prozesse führt. Mit Ausnahme von AfD-Abgeordneten vertritt er sie alle: Till Lindemann, MeToo-Opfer, Günther Jauch oder eben Jan Böhmermann. Sein Hauptgegner: die Bild-Zeitung. Sein Anspruch: „Ich versuche immer auf der richtigen Seite zu stehen.“

Die Aussage sorgt im Saal für Aufruhr. Eine empörte Zuschauerin will wissen, wie sein Anspruch mit dem Fall Till Lindemann vereinbar ist, gegen den Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden. Dass er diesen vertrete und sich zeitgleich als „Me Too-Vorreiter“ bezeichne, sei „verlogen“, ruft sie. Schertz kontert nüchtern: „Ich habe ihn verteidigt, weil es unzulässige Verdachtsberichterstattung war.“ Seine Kanzlei war gegen den Spiegel vorgegangen, der Lindemann ohne Beweise unterstellt hatte, Frauen mit K.O.-Tropfen betäubt zu haben.

Verrohte Debattenkultur

Dann wird Schertz grundsätzlich: Wir würden in einer „Dauerempörungsgesellschaft“ leben. Die Debattenkultur sei inzwischen „derartig verroht“, dass Po­li­ti­ke­r*in­nen und andere Menschen kaum noch etwas sagen könnten, weil sofort der „moralische Zeigefinger erhoben“ werde. Sein Appell: „Man sollte mehr Gnade walten lassen.“

Davon hätte auch Böhmermann profitieren können. Er hatte für den 7. Oktober den Rapper Chefket ins HKW eingeladen. Der Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer (CDU) forderte ihn auf, den Rapper wieder auszuladen. Weimer hatte ein Instagram-Post Chefkets, auf dem er ein Shirt trägt mit der Aufschrift „Palestine“ und zwei Emblemen mit den Umrissen Israels, aber in Form von arabischen Kalligrafien, als antisemitisch gewertet. Böhmermann sagte daraufhin das für den 7. Oktober mit Chefket geplante Konzert per Pressemitteilung ab. Für das Einlenken wurde er scharf kritisiert.

Im HKW heißt es am Montag dann plötzlich vonseiten Böhmermanns: „Es wurde keiner ausgeladen.“ Und weiter: „Alle reden miteinander.“ Wie ist dann zu erklären, dass alle anderen Künst­le­r*in­nen ihre Konzerte im HKW daraufhin aus Solidarität mit Chefket absagten? Unklar. Wird das Konzert von Chefket nachgeholt? „Warten wir es ab“, sagt Böhmermann gewohnt spitzbübisch. Dem Publikum rät er: „Glauben Sie nicht alles, was in der Zeitung steht.“

„Ich finde das Trikot von Chefket scheiße“

Was der Staatsminister sagt, sei für seine Bewertung der Sachlage „komplett irrelevant“, sagt Böhmermann. Er habe selbstkritisch erkannt, dass es nicht richtig sei, die jüdische Perspektive am Jahrestag des Übergriffs der Hamas nicht zu berücksichtigen. Chefket am 7. Oktober nicht auftreten zu lassen, sei eine „Frage von Pietät und Mitgefühl“ gewesen.

„Ich möchte, dass wir lernen, so etwas auszuhalten und zu diskutieren“, sagt Böhmermann. „Ich finde das Trikot von Chefket scheiße, kann und will es nicht verteidigen.“ Aber: „Who am I to judge?“ Er wolle niemanden wegen eines „fucking Insta-posts“ einen Persönlichkeits-, geschweige denn einen Antisemitismusstempel aufdrücken. Denn: „Alles ist problematisch: Jan Böhmermann, Wolfgang Weimer, Christian Schertz, diese Zeit, Deutschland.“

Auch er kritisiert die zunehmende Polarisierung. Er sieht die Ursache jedoch weniger in der Gesellschaft selbst als in technischen Strukturen. „Wir sind konfrontiert mit einer Gesprächskultur, die ausschließlich durch Algorithmen gesteuert wird“, sagt Böhmermann. Den Schlüssel zur Entspannung dieses überhitzten Diskurses sieht er in einer stärkeren Regulierung der Plattformbetreiber.

Böhmermann sorgt sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn: „Satiriker sind die Kanarienvögel im Rektum der Demokratie. Wir merken es, bevor andere es merken“. Und er warnt: „Es wird kälter und es wird weniger ausgehalten.“ Seine moralische Grenze bei Satire: „Alles, was dazu führt, dass wir uns weiter auseinander bewegen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Gemessen an Kurt Tucholsky ist die Reaktion von Böhmermann auf den "Chefket-Skandal" und die damit verbundene Kunst- und Rede freiheit äußerst lau. Keine Wort zu den kollektiven Absagen der Musiker seiner Kunstausstellung.

    Dass Technik den Diskurs anheizt ist ein Allgemeinplatz, der die tieferen Ursachen der Zensur von Kultur und Medien durch die Politik ausblendet.



    Von Trump, der AFD bis hin zu Weimer und der CDU: Medien und Universitäten und jetzt das Haus der Kulturen werden in einem Kulturkampf angegriffen.



    Haus der Kulturen, das hieße doch, bei diesem "Skandal", die damit verbunden lokalen Kontexte und Kritik in diesem Zensurfall genau zu benennen.



    Deshalb der Link zum Projekt Projekt Cencored von Mischa Geracoulos, dass sich Medien- akademischer, politischer und kultureller Zensur auf einem globalen Level widmet.

    www.projectcensored.org/

    Beispiel: politischer Druck (Vorwurf des Antisemitismus aufgrund Annahme de IRA) bei einer renommierten Forschungsprojekt zu Gaza der Harward-University. Die Leiterin des Institutes wurde entlassen. Ein Richter stellte sich gegen von Trump ausgelöste Zensurmaßnahmen.

    www.youtube.com/watch?v=-3DSIZRe3RI

    • @Lindenberg:

      Angesichts der deutlich längeren Liste von Meinungsfreiheitsbeschränkungen, Veranstaltungsabsagen und Hetzkampagnen auf Druck von diversen linken Lobbies in den letzten Jahren sich hier derart zu positionieren, ist ein wenig unter der Gürtellinie. An der Suppe, in der Böhmermann da ertrinkt, hat er selber kräftiger mitgekocht, als irgendwelche "konservativen Kulturkämpfer". Stellen sie sich vor, jemand hätte zum CSD eine Veranstaltung "Die Möglichkeit der Vernunft" in Sichtweite des Kanzleramts und in einem der renommiertesten Ausstellungshäuser des Landes jemanden ein aäbendfüllendes Programm aufführen lassen, der sich kurz vorher mit dem T-Shirt "Es gibt nur zwei Geschlechter" auf Instagram gezeigt hätte. Und dann kommt jemand an und rückt jede andere Meinung in die Nähe eines linken Kulturkampfes. Dann verstehen Sie vielleicht, wie problematisch ihr Trump-Bezug und das ganze Framing als "Kulturkampf von Rechts" ist.

  • Schon großartig, dass jetzt ausgerechnet Böhmermann für weniger Aufgeregtheit und erweiterte Debattenräume eintritt, da trifft es ja mal genau den richtigen. Der ist ja seit Corona kaum noch was anderes als der satirische Arm von Verbotspolitik und Meinungsausgrenzung. Freut mich sehr, dass er von seiner eigenen Medizin kosten darf. Vor dem Wechsel zum ZDF war ich mal Fan, das ist gefühlt 20 Jahre her...

  • "Wie ist dann zu erklären, dass alle anderen Künst­le­r*in­nen ihre Konzerte im HKW daraufhin aus Solidarität mit Chefket absagten?"

    Da gibts sicher Erklärungsbedarf, hlhl ich Böhmermanns Erärung nachvollziehen kann.



    Ich kenne einen ähnlicher Fall, der aufgrund des Subkultur Kontext eher unbeachtet bleibt. Weil einer italienischen Band verweigert wurde, auf einem antinationalen(!) Festival eine Palestina Flagge zu hissen und man sich mit einem einfachen Banner nicht zufrieden gab, haben Aktivisten die restlichen Bands des Billings per Mail unter Druck gesetzt, abzusagen. Darin die aberwitzige Behauptung, es handele sich um ein zionistisches Festival und wer dort auftrete, würde in "ganz Europa keinen Auftritt" mehr bekommen. Nach vielen Absagen hat der Veranstalter daraufhin das gesamte Festival canceln müssen. Ich hab über Berkannte selbst so eine Mail lesen können.

    paranoyafestival.de/

    So gesehen sind die Aussagen, die Scherz hier trifft sehr richtig. Das Debatenklima ist -besonders zu Nahost- dermaßen vergiftet, dass man sich auf öffentlicher Bühne kaum noch äußern kann, ohne selbst zur Zielscheibe zu werden. Das sind ganz häßliche autorite Tendenzen.

  • "Böhmermann sorgt sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt."



    Das ich nicht lache. Böhmermann lebt insbesondere in den letzten Jahren von der Aufmerksamkeit, die er durch die Diffamierung anderer Menschen erlangt. Der berühmte Clip, wo er auf den Vorwurf der Spaltung der Gesellschaft durch Polemik gegen Ungeimpfte mit dem Stinkefinger reagiert, ist mir gut im Gedächtnis - ebenso wie die Sendung, in der er einen Internetmob auf eine Biologiedoktorandin oder eine (zugegebenermaßen tatsächlich ziemlich verstrahlte) Frau auf einer Demo in Hannover hetzte. Wenn sich ausgerechnet der nun hinstellt und die Spaltung der Gesellschaft beklagt, ist das ein bisschen, als würde sich die BILD-Zeitung über fehlendes Niveau bei Boulevardzeitungen beklagen.

  • "„Ich finde das Trikot von Chefket scheiße, kann und will es nicht verteidigen.“ Aber: „Who am I to judge?“ Er wolle niemanden, wegen eines „fucking Insta-posts“ einen Persönlichkeits- geschweige denn eines Antisemitismusstempel aufdrücken."



    Aha.



    Nun ja, eine Woche rückblickend ist solch eine differenzierte Sicht Böhmermanns für mich nur die Hälfte wert.



    Es ist richtig und wichtig, das so klar auszusprechen - die tatsächliche Überzeugung, dass Böhmermann das auch wirklich so bewertet, hätte ich ihm allerdings nur abgenommen, wenn diese Reaktion direkt zu Beginn der Debatte gekommen wäre und eben nicht erst eine Woche hinterher.



    Und zum Thema 'who am I to judge? Er wolle niemanden für nur einen Post verurteilen' - das steht halt in krassem Widerspruch zu seiner Sendung allgemein, weil da kategorisiert und bewertet Böhmermann grundsätzlich Menschen für Zitate, Posts oder andere öffentliche Verlautbarungen und lässt dort grundsätzlich keine Gnade walten, im Gegenteil.



    Insgesamt sehr selbstgefällige Antworten seitens Böhmermann - andererseits auch nicht wirklich überraschend, durch kritische Reflektion ist er noch nie aufgefallen.

    • @Saskia Brehn:

      Ich finde Ihre Kritik an Böhmermann zwar legit, aber auch etwas wohlfeil. Es ist immer so einfach, von allen sofortige und richtige Reaktionen zu erwarten. Ich finde es prinzipiell sehr akzeptabel, wenn Menschen sich nicht während, sondern erst nach einem Shitstorm fundiert zum Inhalt dessen äußern.

      • @la suegra:

        Das ist jetzt aber auch etwas wohlfeil... die meisten Bedenken, die sich mitunter auch in einem "Shitstorm" (worunter ja mittlerweile auch Kritik im Allgemeinen gerne zusammengefasst wird) äußern mögen, sind ja durch das lange Schweigen eben nicht ausgeräumt worden und die Message verliert dadurch erheblich an Glaubwürdigkeit. Das hätte er genau so am ersten Tag sagen können. Authentisch wäre gewesen, Chefket sofort auszuladen und seine Stellung der moralischen Erhabenheit zu verteidigen. Das wäre allerdings eventuell sein Karrieretod gewesen, denn dafür hätte er sich viele Feinde gemacht und sehr an Unterstützung eingebüßt. Er hat es wie ein Politiker ausgesessen und die Schuld quasi an das HKW delegiert. Das stinkt nach Teflon-Mentalität, Kritikunfähigkeit und mangelhaftem moralischen Instinkt. Aber es scheint ja bei den Volkspädagogen gerade in Mode zu sein, ihren Kritikern die Gegenargumente auf dem Silbertablett zu servieren.

    • @Saskia Brehn:

      So ist es, danke. Gerade Böhmermann, der nun wahrlich von der Provokation und oft genug auch von ekelhaften Attacken um des Effekts willen lebt, sollte mal eine Sendung über sich selbst machen. Danach würde er vermutlich nicht mehr auftreten (können).

  • Böhmermann und ein nahezu demütiges "Who am I to judge?"... jaja... der selbstermächtigte Chefankläger (natürlich aaaallles nur Satire...) hat anscheinend selbst gemerkt, dass dieses sehr spezielle Thema (unsensiblerweise könnte man es als "Minenfeld" bezeichnen) selbst für ihn ein bisschen heikel ist. Warten wir ab, bis er wieder ein bisschen Aufwind verspürt und sich dann wieder groß in Szene setzt.